Die Geschichte der Lou Rosenblatt (1989 bis 1910)

 

 

Lou Rosenblatt 1895

Lou Rosenblatt 1895

Ludovika Xenia Rosenblatt wurde am 18. Juni 1889 in Wien-Leopoldstadt als ältere von zwei Schwestern geboren. Ihr Vater, Jakob Rosenblatt, war Inhaber eines Altwarengeschäftes in der Glockengasse 11. Er selbst bezeichnete sich allerdings als Bibliothekar oder Antiquar. Die Mutter, Ricarda Rosenblatt, war eine energische, fröhliche und praktisch veranlagte Frau. Während Jakob sich in seiner sanftmütigen und introvertierten Art lieber im Bücherlager aufhielt, hielt sie das Geschäft in Schwung und die Kunden bei Laune.

Ab September 1895 besuchte Ludovika die Bürgerschule in der Zirkusgasse. Ihre Freizeit verbrachte sie im nahegelegenen Augarten oder im Geschäft ihrer Eltern. Dort dürfte sie auch erstmals mit den damals neuartigen Versandhauskatalogen konfrontiert worden sein. Die unzähligen Abbildungen (Kupferstiche) von Produkten ohne jegliche symbolische oder narrative Bedeutung faszinierten sie. Weiters hat sie sich schon sehr früh mit Athanasius Kirchner und Robert Fludd beschäftigt. Allerdings weniger inhaltlich als formal. Fludds Visionen über den Kosmos, die in der Philosophia moysaica (1638) samt Illustrationen visualisiert werden, haben Ludovika nachhaltig beeinflusst.

1906 als Siebzehnjährige hatte sie eine weitere persönlichskeitsprägende Erfahrung. Nach dem unabsichtlichen Genuss eines Fliegenpilzes erlebte sie durch die halluzinogene Wirkung eine dermaßen veränderte Umwelt, dass sich ihr ganzes Bewusstsein radikal veränderte. Ihr Drang nach Freiheit und ihr Wunsch nach kreativem Ausdruck wurden so groß, dass sie die Leopoldstadt und ihre Familie verließ, um einen neues Leben zu beginnen. Fortan verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Aktmodell der neu gegründeten Klimt-Gruppe. Kolo Moser, Ernst Stöhr und eben Gustav Klimt arbeiteten mit ihr. Kolo Moser, den sie im Café Zentral kennengelernt hatte, war es auch, der ihr empfahl, ihren Namen auf Lou Rosenblatt umzuändern.

Lou Rosenblatt 1911 in Wien

Lou Rosenblatt 1911 in Wien

Im August 1906 traf sie ebenfalls im Café Zentral erstmals auf Sigmund Freud. Der fünfzigjährige Freud war von Lous direktem und intelligentem Wesen, in das er neben androgyner Erotik und mystischer Tiefe auch einen einzigartigen Zugang zum Unterbewußtsein interpretierte, so angetan, dass er sie fortan als „Medium“ für seine Forschungen und Analysen bei der „Traumdeutung“ benötigte. Zu diesem exklusiven Zweck mietete er in der Strozzigasse 42, einem kleinem Biedermeierhaus im 8. Bezirk, eine winzige Wohnung für Lou. In dieser Wohnung, die Lou fast sechs Jahre bewohnte, begann ihr künstlerischer Werdegang.

Das Kunststudium war Frauen noch nicht möglich und so arbeitete Lou weiterhin neben den Gesprächen und Analysen mit Freud als Aktmodell. Erst 1909 wurde es ihr durch kleinere Bildverkäufe und Geldgeschenke von Verehrern möglich, diese Tätigkeit zu beenden. Ihre frühen Arbeiten sind stark von den ehemaligen Künstlern der Klimt-Gruppe geprägt: Expressiver Ductus, starke Farbigkeit und ornamentale Elemente sind beherrschend.

Und wieder war es Kolo Moser, durch den sie einen wesentlichen Kontakt knüpfte. Kolo Moser, der mit Josef Hoffmann 1903 die Wiener Werkstätten gegründet hatte, druckte das Buch eines jungen Malers und Grafikers, Titel: „Die träumenden Knaben“, Künstler: Oskar Kokoschka. Der drei Jahre ältere Kokoschka hatte die Kunstgewerbeschule gerade beendet und lebte in großer Armut. Die erotische Anziehung zwischen Lou und Oskar war enorm. Zu ihrer leidenschaftlichen Beziehung kam die intellektuelle Diskussion über den Kampf gegen das Ornament. In nächtelangen Diskussionen mit Adolf Loos fanden bei Lou und Oskar eine Befreiung vom Ornament sowie der Ästhetik der Klimt-Gruppe und der Kunstgewerbeschule statt.

→ Teil 2