Demo 1982

 

 

Idealzone Wien. Das Buch. Der wilde Pinguin

 

 

Widl und Weibel

 

 

Minisex. Rudi Nemeczek, 1980

 

 

 

 

 

 

Caorle am Karlsplatz 1982

IDEALZONE WIEN. Die schnellen Jahre (1978-1985)

HerausgeberInnen: Martin W. Drexler, Markus Eiblmayr, Franziska Maderthaner  

„Wer sich an die achtziger Jahre erinnern kann, hat sie nicht erlebt.“ Dieses legendäre Falco-Zitat haben wir bei der Entstehung von „Idealzone Wien“ so oft gehört, dass es uns schließlich eher als Ausdruck eines lähmenden Traumas denn als drogenbedingten Gedächtnisschwunds erschien. Doch Verdrängtes kehrt wieder, und plötzlich konnten sich doch alle erinnern. Unsere „Tu nicht so, als würdest Du Dich nicht erinnern!“-Aufforderung, als Autor oder Gesprächspartner einen Beitrag für dieses Buch zu leisten, löste dann doch euphorisches Engagement aus. Das Ergebnis unserer erfolgreichen Suche nach Beiträgen, Fotos, Illustrationen und r aus dieser Zeit liegt nun vor Ihnen – samt Interviews mit und Porträts von Zeitgenossen.

„The eighties are back.“

Was vordergründig wie eine Revival von Popkultur zum richtigen Zeitpunkt aussieht, ist im Grunde des Versuch, diese Jahre, diese „schnellen“ Jahre, erstmals am Beispiel einer Stadt und ihrer Kultur nachzuzeichnen. Es ist der Versuch, die Aufbruchsstimmung in Wien der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre dokumentarisch, analytisch und immer wieder ironisch nachzuzeichnen. Es ist eine Liebeserklärung an Wien, und es ist eine Abrechnung. Es umfasst die ganze Bandbreite des dilettantischen „Alles, immer und überall“, das wir so gut aus dieser noch gar nicht so lange vergangenen Zeit kennen. Und genau das ist der wesentliche Aspekt, der „Idealzone Wien“ von einander jagenden Revivals von heute unterscheidet. Bevor- oder sind wir schon mittendrin? – in Wien ein Recycling oder Revival der achtziger Jahre pasiert, sei es kompensatorischer oder kathartischer Funktion, wird dieses Buch die idyllisierende Beschwörung der guten alten Zeit verhindern oder: die Dinge zurechtrücken.

Was gab es damals nicht alles: New Wave, Punk und Neue Deutsche Welle; Schoko, Ring und Reiss-Bar; Wilde Malerei und Galerienboom; Minisex und Blümchen Blau; Stadtfeste und Hainburg; Flip-Sakkos und Bleistiftabsätze; postmodernes Denken und Caorle am Karlsplatz – lauter unumstößliche Kennzeichen und Symbole einer Zeit, die zur Identitätsfindung der jungen Generation in Wien wesentlich beigetragen haben und sie radikal prägten. Eine rasante Aufbruchstimmung lässt die alten Werte einer ermüdeten 70er Jahre Subkultur hinter sich, den alten, grauen Wienmief raus und die Stadt endlich zur schillernden Donaumetropole werden.

WIEN GOES PUNK

Mit der Arenabesetzung im Sommer 1976 fand die längst fällige Initialzündung der Wiener Alternativkultur statt. Durch die Gründung von Stadtzeitschriften wie der „Arena Stadtzeitung“ und dem „Falter“ 1977 manifestierte sich diese Gegenkultur nun auch in den Medien. Diese neue mediale Öffentlichkeit verhilft der avantgardistisch relevant werdenden Subkultur oder kulturellen Subversion zu populärer Massenakzeptanz samt kommerziellen Erfolgen. New Wave -Musik und „Neue wilde Malerei“ werden zu medialen Ereignissen und ihre Protagonisten quasi über Nacht zu Helden. Die eigentliche Subversion ist allerdings Punk – das chaotisch, bunt-anarchistische Gegenstück zur vergammelten „antiimperialistischen Palästinensertuch-Fraktion“ In den Glück- und Schönheitsversprechungen einer reformierten Leistungsgesellschaft bildet Punk das zerstörte Gegenbild. Die scharfe Energie aus Sex und Adrenalin bildet in dieser „gesellschaftskritischen“ Alternativkultur den Motor für die neue Kunst-, Musik- und Kreativszene ist. Geniale Dilettanten sind allerorts und zahlreich am Werk.

POSTMODERN WIRD MODERN

Ob im Musikbereich, wo billige Synthesizer und die Neue Deutsche Welle demonstrieren wie einfach und lustig Musik machen ist; ob in der Kunst, wo mit naiver Euphorie die wieder gewonnene Ausdruckskraft der Malerei gefeiert wird oder in der Architektur, der Werbung oder im Design. Postmoderne Gestaltungskriterien machen es leicht aus den diversen stilistischen Mottenkisten das passende Styling zusammenzubasteln und bald tönt die postmoderne Überwindung als Hedonismus in allen Gassen. Auch die Wiener Gastronomieszene boomt -1977 eröffnet die von Coop Himmelblau gestaltete Reissbar, 1980 das Krah Krah – das somit den Startschuss zur Erschließung des Bermudadreiecks gibt. Hermann Czech baut das Salzamt, nachdem sein Kleines Café und die Wunderbar schon Jahre vorher diesen Lokaltypus zum Vorschein gebracht haben und als einzige zeitgemäße architektonische Orte galten. Parallel dazu schießen die Lokale nur so aus dem Boden; Tempo, Schoko, Blitzbar, Flieger, Ring, und wie sie alle heißen – große, grelle, coole „Beisln“ mit Neon und Palmen, in denen sich das sogenannte Leben abspielt. Diese Orte dienen als Kontaktbörse, als Aufreissort oder als erweitertes Wohnzimmer. Wo früher Avantgarde und Hochkultur nur in geheimnisvollen Etablissements zu finden waren, sind jetzt alle immer und überall.

ZEITGEIST ALS STADTPOLITIK

Avantgarde wird durch diese neue Engführung von Subversion und Populärkultur breitenwirksam und populär. Der „WIENER“ – der sich seit 1982 als „Zeitschrift für Zeitgeist“ tituliert, trifft genau das Lebensgefühl dieser frühen Achtzigerjahre. Durch die Stadtfeste (seit 1978) proklamiert Erhard Busek faktisch das kulturelle Stadtmarketing dieser Epoche, das Helmut Zilk ein paar Jahre später als city management by cultural image zum übergeordneten Programm für eine moderne Stadtpolitik definiert. Doch damals war Zilk noch Kulturstadtrat, ermöglichte das erste „Wiener Szene“ Konzert in den Sophiensälen und trug auch sonst nicht unwesentlich zur kulturellen Öffnung der Stadt bei. Andere „hehre“ Institutionen erlebten ebenfalls einen langen Frühling – so zum Beispiel die Hochschule für Angewandte Kunst mit ihrem neuen Rektor Oswald Oberhuber. Im übrigen hat Kreisky das Ruder noch fest in der Hand und im fernen Amerika wird Ronald Reagan Präsident, was der Wirtschaft zu einem enormen Aufschwung verhilft, der sich auch hier zulande bald auswirkt.

WERBUNG ALS KUNST, KUNST ALS LEBENSGEFÜHL

Die Neue wilde Malerei verkauft sich gut und schnell – die hochkulturelle Avantgardegalerie, wie sie in Österreich als Informationsgalerie praktiziert wurde, begann Ende der 70er Jahre und Anfang der Achtziger Jahre ihre kommerzielle Fruchtbarkeit zu erweisen. Die erstaunlich vielen Künstler und Galeristen haben alle allerdings angeblich nur ein Ziel – das Museum. Diese Identität von Ausstellung und Museum, von postmoderner und moderner Kunst, gilt ebenfalls als signifikantes Streben einer als homogen empfundenen Avantgarde. Auch die Werbeausgaben der österreichischen Firmen wachsen und steigern das Niveau der heimischen Werbung beträchtlich. Erstmals verschwimmt die Trennlinie zwischen kommerziellem und avantgardistischem Kreativen. Werbung beginnt wie Kunst auszusehen und umgekehrt.

RETRO – RETRO

Man trägt Sakkos aus dem Flip oder vom Flohmarkt, wer Geld hat von Fiorucci; dazu Hawaiihemden, Miniröcke aus Leopardenfellimitaten, Gel in den Haaren, Schulterpölster und grauenhaft spitze Schuhe – alles schon mal dagewesen? Die Achtzigerjahre oder die von uns beschriebene Epoche, die in ihrer ganzen Homogenität eigentlich schon 1978 beginnt und 1985 endet, kennzeichnet die erste „Retro“-kultur dieses Jahrhunderts. Man zieht sich an wie in den 50ties der 60ties, hört Rockmusik oder Schlager (Punkrock, Neue Deutsche Welle), malt expressiv-figurativ, nicht-ideologisch und sinnlich greifbar; der Nierentisch feiert ein Comeback und alle lesen Konrad Beyer, Bukowski oder Chandler. Das Ende dieser kurzen, bunten und euphorischen Epoche findet ungefähr Mitte der Achtziger Jahre statt. In Wien ist das die Zeit, als Clubbings und House Music „in“ wurden, der Börsencrash, die „neue“ SPÖ unter Vranitzky, Ecstasy und der Tod von Popgott Andy Warhol.

80-ER IN WIEN. DIE WIENER SZENE ALS BUCH

Uns erscheint es gerade jetzt spannend und wichtig diese Ära, ihre Phänomene und ihre Geschichte, die in noch so unmittelbarer Erinnerung stehen, zu dokumentieren. Jetzt – 1998 – weil wir kurz davor sind diese erste Retrozeit – quasi als „Retroretro“ oder im Sinne von Baudrillards These der „Beschleunigung der Moderne“ demnächst wieder erleben. Vielleicht mussten wir erst ins „Sampling Zeitalter“ eintreten um den „Mut zur Peinlichkeit“, das Image der frühen Achtziger Jahre nicht nur salon- und zitatfähig zu machen, sondern uns auch einen Dreck um die Authentizität zu scheren. Nachdem sich der Zitatenquell aus den 60er und 70er Jahren langsam erschöpft, erscheint derzeit ein Rückgriff auf die „Synthetik-Dekade“ didaktisch logisch und lässt eine Faszination für die frühen Achtziger Jahre und ihrer extravaganten Widersprüchlichkeit aufkommen. Schon tauchen in den Modemagazinen wieder breite Schultern und berückend überspitzte schwarzweiß Fotografien auf; Synthiepopmusik und Maxisingle feiern ein Comeback und die ersten Carrerasonnebrillen und Bonnie Tyler Frisuren werden wieder gesichtet. Es gibt Dutzende von Internet Seiten wie „Living in the eighties“, in Deutschland werden Neue Deutsche Welle Partys veranstaltet, und in London gibt es wieder neonkühle Restauranst im Stile von Apotheken wie das „Pharmacy“.

Trotzdem darf nicht unerwähnt bleiben, dass die achtziger Jahre keine sorglose Zeit waren. Viele der damals auftretenden Probleme existieren nach wie vor : Aids, Arbeitslosogkeit, wachsende Nationalitätenkriege und Umweltprobleme. Andere Phänomene der achtziger Jahre haben in den Neunzigern an Durchschlagskraft gewonnen: ob Internet, Privatfernsehen oder die zunehmende Medialisierung.

Bevor diese heraufdämmernde Ära Breitenwirksamkeit erreicht ist dieses Buch DAS Nachschlagewerk, das als Zeitdokument, Material- und Musiksammlung eine Hommage an die Jahre, die vom „Mythos des Augenblicks“ geprägt waren, ist.

Franziska Maderthaner, 1998

 

IDEALZONE WIEN TEXTE, INTEVIEWS, NAMEN, ORTE, REGISTER

HERAUSGEBERiINNEN:
Martin Dexler, Markus Eiblmayr, Franziska Maderthaner

EINLEITUNG:
Peter Weibel „Die schnellen Jahre“

TEXTE:
von Michael Freund, Walter Gröbchen, Robert Fleck, Matthias Boeckl, Burghard Schmidt, Sigi Mattl, Karin Resetarits, Gerd Winkler, Christian Reder, Andreas Köstler, Michael Hopp, Manfred Klimek, Willy Zwerger, Desirée Vasko

INTERVIEWS:
Kunst: Oswald Oberhuber – Brigitte Kowanz – Silvia Steinek – Horst Christoph – Jan Tabor – Johanna Kandl – Hubert Scheibl
Musik: Stefan Weber – Fritz Grohs – Bernhard Tragut – Martin Blumenau – Robert Wolf
Lokale: Ossi Schellmann – Michael Satke
Architektur,Design: Wolf D. Prix – Gregor Eichinger – Matthis Esterhazy
Film: Niki List – Franz Novotny – Bady Minck – Harald Sicheritz – Rudolf John
Theater: Emmy Werner – Christian Pronay – Wolfgang Kralicek Schauspielhaus: Hans Gratzer
Punk: Michael Snoj
Schoko: Edi Komaretho, Franzi Rist
Bäckerstrasse: Pero/Alt Wien

SZENEMENSCHEN:
100 Kurzportraits von wichtigen Zeitzeugen und Kulturschaffenden.

Falter Verlag, 1998