REmember
… Im Juli 1972 besuchte ich als zehnjähriges Mädchen, mehr folgsam als interessiert die documenta 5 in Kassel. Der damalige Kurator Harald Szeemann, der erstmals in der Geschichte der documenta eine thematische Ausrichtung festlegte – „Befragung der Realität, Bildwelten heute“ gelangte erst ca. acht,neun Jahre später in mein Bewußtsein. Die Erinnerung an die Ausstellung allerdings geriet zu einem starken Initationserlebnis und verfolgt mich gefühlsmäßig und geistig bis heute. Ich sehe mich noch, mit offenem Mund vor diesen gigantischen Leinwänden der amerikanischen Fotorealisten stehen und Faszination wie penetrante Ablehnung gleichzeitig empfinden. Alles was in meiner progressiven und doch bildungsbürgerlichen Familie als „moderne Malerei“ galt, alles was picassoesk, matissesk oder abstrakt war wurde mit diesen Bildern verhöhnt. Die überdimensionalen Darstellungen von Gesichtern, Autos oder Geschäftsfassaden, schienen einen distanzlosen Betrachter (und genau das war ich, denn ich stand einen halben Meter vor den Bildern) gleichsam hineinzuziehen; die mikroskopische Präzision des Dargestellten war obszön für mich und die Methode, die Malweise war so perfekt und nicht nachvollziehbar, dass sich die Gesamtheit dieser Eindrücke primär als vielschichtiges, formalgeschichtliches Phänomen in meiner Erinnerung festsetzte.

… und ganz nah betrachtet, lösten sich die Bilder dann vollkommen auf. Kleine Farbrasterpunkte, organische Flächen oder vom Luftpinsel aufgetragene Farbe auf Leinwand, die als reale, materielle Farbe nicht kaum mehr wahrgenommen werden konnte. Ein Kippeffekt, der mich bis heute fasziniert, da er gleichsam wahrnehmungstechnisch wie erkenntnismäßig, banal und höchst konzeptionell funktioniert. echseln.