Organisiertes Selbstbewußstsein
Renahtredam Aksiznarf im Gespräch mit Franziska Maderthaner
Du hast auf diesem Bild gerade Firnis aufgetragen. Sieht aus, als ob dir das ziemlichen Spaß bereiten würde?
Ja, da hast du recht. Mit dieser Aktion lege ich das letzte Mal Hand ans Bild, bevor ich es in die Öffentlichkeit entlasse. Abgesehen davon ist wahrscheinlich jeder Künstler froh, wenn er einen definitiven Abschluß, eine Arbeit beendet hat. Gerade wenn die Arbeit nicht prozeßhaft ist, sondern wie bei mir ein hohes Maß an Perfektion erreicht werden will, ist dieses Auftragen des Abschlußfirnis aufregend. Alles wirkt, wie in Plastikfolie verpackt, homogener und zugleich entrückter als ohne Firnis.
Du arbeitest scheinbar gerne aufwendig. Geschieht das, um spontane Spuren zu vermeiden? Wo und wann passiert der kreative Akt, das Chaotisch-Künstlerische in deiner Arbeit?
Vor der Malerei natürlich. Es ist so etwas wie eine Vereinigung seelischer Haltungsformen. Leidenschaftliches Sich-Selbst-Verlieren bis zur völligen Verwandlung des Eindrucks und zugleich kühle Distanz in der ordnenden Betrachtung der Dinge. Konkret gesagt: Ich sitze dann vor einem Stoß Bilder. Bilder, die ich, aus welchen Gründen auch immer, interessant finde. Detailaufnahmen, schlechte Fotos, Lifestyle-Bilder, Bilder, die für mich eine magische Komponente besitzen – ob das nun ein eigenartiger Lichtreflex ist, ein sattgesehener Eindruck oder ein noch nie so gesehener…
Es ist wie ein Spiel. Du kannst dann im Prinzip alles miteinander kombinieren und dazu eine Geschichte oder Komposition erfinden. Nur manche Kombinationen funktionieren einfach besser, sind verwirrender, klüger, irrsinniger oder extremer.
Es geht also darum, mittels Malerei einen Denkraum der Besonnenheit zu öffnen, der, wie Aby Warburg sagt, dem Menschen möglicherweise seine Autonomie spüren lassen kann.
In der Bilderflut der Massenmedien sind eben auch Bilder notwendig. Bilder, die einerseits Distanz schaffen und andererseits berühren. Manchmal kommt auch noch eine persönliche Befindlichkeit meinerseits dazu, die das Bild dann quasi zu einem Gleichnis der eigenen Mythologie macht. Gut, also Bildelemente auswählen, sie kombinieren, collagieren, das ist der eigentliche kreative Akt. Wenn die Auswahl getroffen ist, wird das Ganze eingescannt und noch einmal durch die Mangel des Photoshops gedreht. Das dient aber eigentlich nur der Perfektionierung: Farbangleichungen, Proportionen verändern, Übergänge retuschieren. Meistens sind das Eingriffe, die mit dem üblichen Umgang mit Computergrafik kaum etwas zu tun haben. Das Endresultat ist dann ein Farblaserausdruck dieser Art von Collage. Es fehlen die harten Kanten und Brüche der klassischen Collage, es ist ein homogenisiertes zweidimensionales Gebilde.
Und das Malen? Wäre man zynisch, würde man es „Malen nach Zahlen“ nennen, oder? Passiert da noch etwas Unvorhergesehenes, Spontanes?
Nein. Die mechanische Arbeit des Abmalens schließt alle bewußte Wahl und Imagination aus. Alle Entscheidungen werden vorher getroffen, denn das Maß an Konzentration bei meiner Maltechnik ist so groß, daß ich mir nicht gleichzeitig über Proportion, Genauigkeit, Abstraktion,usw.Gedanken machen kann. Es ist mir auch nicht möglich, zwischen diesen Denkmodi hin- und herzuspringen. Das Malen ist in der rechten Gehirnhälfte beheimatet, also eine ganzheitliche, sinnliche, komplexe und nicht lineare Tätigkeit. Da kippe ich einfach hinein und schalte den logisch-rationalen, verbalen Teil ab. Ich weiß also nicht, was ich tue. Insofern könnte man diese Arbeit auch viel mehr in der Nähe des Informellen sehen als in der Nähe des Realismus. Denn die mechanische Art des Machens wird ja so wie im Informel von ihrer behaupteten psychisch-energetischen Quelle abgeschnitten.
Aber trotzdem ist das Was „Was soll ich malen?“ das Wesentliche, das Eigentliche und das Schwierigste. Mit dem Wie zu beginnen ist leichtsinnig, aber legitim. Eine legitime avantgardistische Vorgangsweise. Warum benutzt du diese realistische Technik, die doch keine wirkliche Tradition hier hat? Warum thematisierst du Technik, Effekte und Inhalte auf einer Ebene, anstatt die Materialität von Farbe auf Leinwand zu untersuchen?
Das Wie ist auch nicht so unwichtig. Man kann das Material und die Technik zusammen mit dem Thema oder den psychischen Möglichkeiten ja in Hinblick auf die Absicht nutzen. Das Wie ist auch wichtig in Hinblick auf die Präsenz, die Realität, den Objektcharakter des Bildes. Wäre das Wie unwichtig, könnte ich meine Arbeiten auch als große Computerdrucke oder Fotomontagen produzieren. Tue ich aber nicht. Das sichtbar mit der Hand gemalte, greifbar materiell hergestellte Bild hat eine enorme Wirklichkeit, die von keiner reproduzierenden Technik geschaffen werden kann.
Aber du hast mich nach der Technik und den Themen gefragt. Es ist gestaltpsychologisch erwiesen, daß realistische Malerei und Kunst für den Konsumenten eine weitaus höhere Attraktivität besitzen als abstrakte, konzeptuelle oder virtuelle Kunst. Warum also nicht ein Bekenntnis zur Attraktivität propagieren?
Der Erfolg der Phantastischen Realisten in den sechziger Jahren beruhte ja unter anderem auf diesem Phänomen: Themen, realistische Malweise, Buntheit und zugleich Perfektion. Auch die Malerei der Pop Art rangiert unter dem Begriff „attraktiv“. Insofern wäre da doch eine österreichische Tradition, an die man anknüpfen könnte, hätte sie sich weiterentwickelt.
Das hat sie aber nicht.
Und da hat sie sich auch eine große Chance vermasselt. Denn Kunst schafft heute den Kitsch des Lebens. Darunter ist die Verheiratung von Cross-Culture und Popkultur zu einer Romantik zu verstehen, die im Gegensatz zur historischen Romantik keine Weltflucht kennt, was nur zu Dogmatismus und rigider Ethik führt -, sondern möglichst viele Menschen an der Kultur teilhaben lassen möchte; letztlich also eine Art Demokratisierung der Kunst. Wird der phantastische Realismus mit dem Etikett „Kitsch“ belegt, dann sollte das als Anstoß genommen werden, die Weiterentwicklung dieses Prozesses voranzutreiben.
Die wichtigste These dazu stammt von Jeff Koons: „Was man als Kitsch erlebt, ist immer nur die eigene Vergangenheit.“
Ja, die Kitsch-Kunst hat die Aufgabe, immer wieder zu entlarven, woher die ästhetischen Werturteile des Menschen kommen. Die Aufgabe von Kitsch besteht also immer darin auszuloten, wo die Grenzen der Toleranz sind, um sie dann auszuweiten.
Eine weitere Anknüpfung zum phantastischen Realismus sehe ich auch in der Entwicklung des Ekstase-Trends. Die Kunst wird in Zukunft immer mehr zum Rauschmittel werden. Auf der Entdeckungsreise zum eigenen Unterbewußtsein kann die Kunst dieses selbsterzeugte Erfundene, Unsagbare und Unsichtbare sichtbar machen.
Der Künstler tritt in diesem Fall allerdings als Softwareentwickler von phantastischen Cyberwelten in den Hintergrund, und der Konsument selbst wird zum Kreativen. Dieses Konzept, das das Malergenie und den Künstler als autarke Einzelfigur obsolet werden läßt, um ihre Aufgaben in der Gesellschaft ganz neu zu formulieren, gefällt mir besonders gut. All diese Faktoren – die Unmöglichkeit ästhetische Toleranzgrenzen zu definieren, der Glaube ans Malergenie oder den autarken Künstler, die Verweigerung den neuen Medien gegenüber und schlußendlich die Verachtung jeglicher Avantgarde-Entwicklung haben die Phantastischen Realisten in diese Position gebracht.
Auch Andy Warhol hatte ja anfangs realistisch gemalt, aber sein Berufsbild war immer absolut offen für jede künstlerische und gesellschaftliche Lebensform, und somit war er bis zu seinem Tod ein Avantgardekünstler.
Apropos Warhol. Der Factory-Idee kanst du dich ja auch nicht so ganz entziehen. Du hast vor einigen Jahren eine Agentur für angewandte Malerei gegründet – Art Work. Hat das funktioniert? Was ist passiert?
Das Ganze entwickelte sich aus einer Aversion gegenüber dem Kunstmarkt. Von beiden Seiten, nehme ich an. Die mochten mich nicht so besonders, weil ich mit einem Künstler verheiratet war, den ich nicht standesgemäß managte , weil ich zu goschert und zuwenig einordbar war. Die Spielregeln nicht mitspielte, da ich sie gar nicht verstand, Strategien verweigerte, da mich Synergien mehr interessierten. Und umgekehrt wiederum hatte ich die profane Idee, mit meiner Arbeit Geld zu verdienen. Dabei wollte ich weder Galeristen noch Kunstbüros oder sonstwem was abgeben. Also machte ich ein Art Kunstmanagement -Ausbildung bei einer hervorragenden PR-Frau, bei der ich wirklich erstaunlich viel lernte. Dinge, die man heute eigentlich auf jeder Kunstakademie vermittelt bekommen sollte. Präsentieren, Medienarbeit, richtig Telefonieren, exaktes Formulieren, Zielgruppen erkennen, effizientes Management… Gleichzeitig produzierte ich diese Art Work- Folder und verschickte sie an Firmen und Medien. Das mediale Interesse war groß. Ich verkaufte gut und dachte, das geht jetzt immer so weiter. Und da ist mir dann halt das Übliche passiert , der Karriereknick schlechthin. Ich wurde schwanger.
Hast du das eigentlich jemals thematisiert? Ist bei dir eine Art Mary Kelly- Phänomen aufgetreten?
Interessanterweise schon vorher. Da habe ich ein sehr realistisches Selbstporträt gemacht, auf dem ich zwei Kinder habe, eins steht neben mir, und eins halte ich im Arm. Das war wohl so eine Art Testbild, um dieses Mutterimage zu visualisieren. Während der Schwangerschaft entstand „Muttermund“. Ein großes, sehr erotisches Bild, das sich mit diesem Phänomen Bauch, Muttermundöffnung und Hebammen beschäftigt. Meine ganze Vorstellung von Geburt war ja sehr abstrakt , und insofern interessierte es mich von der physischen, formalen Seite mehr als von der hormonellen.
Inwieweit beeinflußt dein Sohn dich jetzt? Hat er deine Sicht auf Dinge verändert?
Das Legobild „real virtuality“ hätte ich sicher nicht gemalt, hätte ich kein Kind. Sein Spielzeug ist eine herrliche, bunte, kleine, reale Künstlichkeit, Ersatzwelt. Als ich unlängst sein Lego aufräumte, fing ich selber an damit zu spielen und mir mein Traumatelier samt emotionalem Traumambiente zu bauen. Da gibt es Platz, und gleichzeitig ist da mein Sohn und sein Vater, da gibt es Blumen, Bilder an den Wänden und Mami an der Staffelei. Lego zwingt dich natürlich zu dieser vereinfachten Konstruktion mit schablonenhaften, reduzierten Gegenständen und Menschen. Insofern ist es in dieser reduzierten Künstlichkeit der Kunst sehr nahe, vor allem wenn man wie in diesem Bild die klischeehaften Figuren und das traditionelle Rollenbild der Puppen verändert.
Kinder haben außerdem eine herrlich surreale Welt in ihrem Kopf, die ich jetzt durch meinen Sohn wieder entdecke. Aber das beste ist vielleicht, daß sie alle deine Probleme relativieren, und das nur durch ihre bloße Präsenz. Seine Art, Dinge zu sehen, erinnert mich in dieser losgelösten Sehweise an das Sehen unter Einfluß von halluzinogenen Drogen. Losgelöst von jeglicher Bedeutung, Geschichte oder selbst perspektivischer Wahrnehmung.
Ich spreche dich ungern darauf an, weil es ein heikles Thema ist – aber trotzdem stelle ich fest, daß deine Bilder auch gewisse psychedelische Elemente, Effekte oder Farben haben.
Du kannst mich ruhig darauf ansprechen. Das Thema Bewußtseinserweiterung geht ja an keinem Künstler ganz spurlos vorbei. Man erzielt diese mittels Drogen oder Meditation, Yoga oder sonstwas Entspannendem. Und das hat mich natürlich interessiert. Die psychischen und physischen Erlebnisse dabei sind in mir gespeichert und relativ leicht abrufbar. Wenn man dann das ganze Umfeld von psychedelischen Erfahrungen studiert, Huxley oder Timothy Leary liest,viel Musik aus den Sechzigern und frühen Siebzigern hört, dann verdichten sich diese unterschiedlichen Äußerungen zu einem komplexen Lebensgefühl. Man empfindet sein Tun als authentischer. Jetzt kommt sicher gleich dein Vorwurf, daß wir doch immerhin dreißig Jahre nach den Sixties leben.
Ja, diesen Vorwurf kann ich dir nicht ersparen. Ist das überhaupt legitim? Oder ist das kalkulierter Retrostil? Wo knüpfst du an die Gegenwart an?
Kalkulierter Retrostil ist fixer Bestandteil der Popkultur. Aber das ist das Phänomen Pop: Alles kehrt immer wieder, und die Retrostile folgen immer schneller aufeinander. Schau dich doch nur um, junge Musiker wie Beck, Cake oder Blur machen Siebziger-Jahre-Pop Musik, sogar mit eingebauten Kratzgeräuschen wie von alten Langspielplatten. Dazu gibt´s Plateauschuhe, weite Hosen, Blumenhemden, und hätten wir nicht CDs, Computer oder Handy könnte man glauben, wir leben das Jahr 1972 zum zweiten Mal. Ich halte es da mit Marx: In der Geschichte passiert alles zweimal, einmal als Tragödie und einmal als Farce. Wir haben jetzt die Farce. Von manchen Menschen wird das Ganze aber das erste Mal erlebt und die haben ihre Farce dann in ein paar Jahren.
Die Anknüpfung an die Gegenwart findet in meiner Arbeit durch folgende Tatsachen statt: Ich verwende nur aktuelles Bildmaterial, ich erarbeite die Bilder mittels Computer, und mein Berufsbild als Künstlerin ist in keinster Weise esoterisch, therapeutisch oder feministisch, wie es 1972 vielleicht der Fall gewesen ist, sondern es ist ein mehr oder weniger professionelles Unternehmertum. Fem-Trash (© Jutta Köther) statt der alten Frauenbetulichkeiten als Arbeitsweise, das System benutzen, statt es verantwortlich zu machen, als politisches Bewußtsein und Strategien der Bejahung statt Anklage als geistiges Erlebnis.
Der Mythos „Künstler“ hier in Österreich beinhaltet ja noch die Illusion vom autarken, genialen Einzelkünstler, meist wortkarg oder kryptisch in seinen Aussagen. Ist deine Vorstellung vom Berufsbild Künstler nicht allzu pragmatisch und entmystifizierend?
So soll es auch sein. Ich glaube an Professionalität , und die beginnt eigentlich schon während des Studiums. Natürlich muß man die Spielregeln des Kunstbetriebs kennen, und natürlich sind die kontemplativen Mußestunden in Hinblick auf den kreativen Output wichtig, aber daneben fehlt mir das organisierte Selbstbewußtsein bei gleichzeitiger Bescheidenheit.
Ganz schöner Widerspruch. Was bedeutet das? Was sind die Eigenschaften und Erkenntnisse, die ein moderner Künstler heute vorweisen sollte?
Als Kulturproduzent, egal, ob dabei interaktive Ereignisse oder Projekte, Bilder, Skulpturen oder sonstwelche Spuren erzeugt werden, muß man in dem Bewußtsein leben, daß man diese Tätigkeit für andere Menschen macht und will, daß es ihnen gefällt. Oder wie es Lois Renner unlängst formulierte: „Wäre ich allein auf der Welt, würde ich keine Bilder machen.“ Hier Produzent, da Kunde oder Rezipient. Diese Erkenntnis verlangt eine spezielle Einstellung, da man den Kunden ja offensichtlich gewinnen will. Selbst die noch so gesellschaftskritischen künstlerischen Modelle haben ihren Markt, alles andere wäre Verweigerung, und das hieße dann logischerweise: null Produktion. Organisiertes Selbstbewußtsein steht ganz einfach für bestimmte menschliche, unternehmerische und zukunftsweisende Handlungsformen.
Dabei ist es wichtig, wie hoch deine soziale Kompetenz ist, deine Fähigkeit zu Synergien, Sozialisation, Kommunikation, Unkonventionalität, Offenheit für Kritik und Vertrauen. Mir persönlich erscheint es sehr wichtig, die eigene Arbeit verbalisieren und präsentieren zu können, in komplexeren Dimensionen zu produzieren und die Spielregeln permanent zu hinterfragen. Angstfrei, fröhlich und offen ein „Management by love“ zu betreiben. Den Kunden interessieren dein Leiden oder deine Jammereien nicht. Der Kunde, so wie jeder Mensch, interessiert sich primär für sein eigenes Ego und seine eigene Zukunft. Kunst als Analyse der Wirklichkeit durch Teilnahme an ihr versteht sich als eine Art Kommentar. Als praktische Philosophie, die der eigenen philosophischen Begriffssuche vielleicht einen Schritt voraus ist. Auch wenn sich Kunst heute in ihrem Erscheinungsbild nicht mehr klar abgrenzen läßt. Mode, Werbung, Musik – die ganze Crossover-Kultur ist ja im wesentlichen Kunst und umgekehrt. Aber wenn der Konsument deine Idee liebt, weil sie ihm diese Hoffnung auf Erkenntnis gibt, dann ist das Spiel gewonnen.
Der Mythos „Künstler“ hier in Österreich beinhaltet ja noch die Illusion vom autarken, genialen Einzelkünstler, meist wortkarg oder kryptisch in seinen Aussagen. Ist deine Vorstellung vom Berufsbild Künstler nicht allzu pragmatisch und entmystifizierend?