In tune
Mirjam Jessa

Bugge Wesseltofts Klaviertöne (blau, blaugrün oder doch gelb?), Töne wie Tropfen, hallen lange nach in dem weißen Atelier, der klassische Geiger Henning Kraggerud spielt seine Bratsche (erdiges Braungrün) legatissimo, die Klangfarben verschwimmen, zerlaufen, schwappen die schiefe Ebene hinunter, blühen auf, verzweigen sich.

Synchron dazu hebt Franziska Maderthaner die nasse Leinwand der Länge nach an und die Farben darauf – verschwimmen, zerlaufen, blühen auf, verzweigen sich – je nachdem, wo die Malerin die Leinwand lüftet und senkt oder mit Bürsten und Winkeln Akzente setzt. Vollkommen in tune, im Einklang mit der Musik bewegt sie sich konzentriert und aufmerksam, und die Töne scheinen den Fluss der Farben zu lenken.

Undenkbar jetzt ein anderes Musikstück dazu zu hören. Auch Ähnliches will nicht passen. Auf geheimnisvolle Weise ist dieser norwegische Chamber-Jazz, benannt nach dem Berg Blåmann, Teil dieser Schüttung. Doch die Schüttungen sind nur die erste Schicht der Palimpseste, die Maderthaners aktuelle Arbeiten darstellen.

Die minutiös geplanten, in altmeisterlicher Technik und Perfektion ausgeführten Sujets, die sie in und auf die Schüttungen komponiert, verlangen naturgemäß nach gänzlich anderen Musikstücken. Komposition, Form, Präzision. Improvisierte Musik passt da gar nicht mehr. Und Musik ist für sie unverzichtbares Malmittel. Ihr musikalisches Wissen und ihre umfassende Kenntnis unterschiedlichster Genres versetzen mich immer wieder in Staunen: Bluessängerinnen der 20er- und 30er-Jahre, Indie Bands aus Oslo, schräge Wiener Lieder, vergessene bayrische Schnulzen – und ich könnte jetzt noch Seiten lang fortfahren. In Franziska Maderthaners musikalischen Kosmos kann man sich verlieren und wiederfinden wie in ihren Bildern. Nur Klassik scheint die Künstlerin nicht zu beflügeln. Vielleich ist sie zu komplett, fordert mehr als zu fördern.

In einigen Arbeiten sind eine ganz bestimmte Musik und die Bewegung, die sie evoziert, gleichsam eingefroren. In „U.S. Archeology“ ist es Benny Goodmans berühmte Version von „Sing, sing, sing (with a Swing)“,  so wie er sie 1938 als erste Swing-Band in der klassisch ausgerichteten Carnegie Hall gespielt hat. Der Druck auf Goodman war enorm. Das Intro der Tomtom-Trommeln erzeugt Spannung, die Bläser dröhnen wie Elefanten und dann geht’s ab in höchster Perfektion und Vitalität, getreu Goodmans Devise: It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing. Und auch in „U.S. Archeology“ ist alles Bewegung, Rhythmus, Klang. Unsere Wahrnehmung hebt die Starre der Bilder auf: Der Rock fliegt, der Mann biegt sich rücklings, sie tanzt auf ihn zu, er lockt sie wer weiß wohin, jedes Detail ist bedeutsam, denn es hat den Swing.

Beim Betrachten der Arbeiten von Franziska Maderthaner höre ich die Musik, die sie für mich bergen. Es sind keine konkreten Musikstücke, sondern Rhythmen, Zuspitzungen, Auf- und Abschwünge, Höhepunkte und Ruhephasen, Klangfarben, Farbtöne, Perkussion. Selten Klangflächen, dazu sind ihre Arbeiten viel zu dynamisch. Ob ihr das gefallen würde was ich höre? Wahrscheinlich nicht. Ihr Musikgeschmack ist heikel und wählerisch. Macht nichts. Denn jetzt bin ich in tune.