In Bed with Abstraction
Franziska Maderthaner im Gespräch mit Maria Rennhofer

Maria Rennhofer: Die Kunst lebt immer vom Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit, Natur und Gegenstand einerseits und dem Transzendieren dieser realen Basis andererseits. In Ihren Bildwelten scheint die virtuelle Welt, von der wir heute alle umgeben sind, ein zusätzlicher Aspekt zu sein. Ist Ihre Malerei der Versuch, virtuelle Realität und reale Virtualität zu verbinden?

Franziska Maderthaner: In einem Interview 1999 habe ich diese beiden Bereiche Realität und Virtualität kategorisiert. Heute unterscheide ich vielmehr zwischen Natur und Künstlichkeit, und der Versuch der Homogenisierung dieser beiden Begriffe in den Bildern ist für mich wichtig geworden. Meine neuen Bilder gehen von abstrakten Schüttungen aus. Dieser diffuse, fast organisch anmutende Raum entsteht in der Horizontalen, und von oben betrachtet sieht die Fläche, in der die Farben in einander rinnen, wo Schwerkraft und Chemie Seen, Wolken, Rinnsale und sonstige Effekte entstehen lassen, wie Google Earth aus. Also eine Natur-Assoziation, aber zugleich doch auch etwas Virtuelles. Diese Basis wird dann mit Elementen aus der Natur und Zitaten aus der Kunst weiter bearbeitet.

M.R.: Von Galeristen, Sammlern und Kritikern werden Sie meist als gegenständliche Künstlerin eingestuft, obwohl es in Ihren Bildern sehr unterschiedliche, eben auch abstrakte Elemente gibt. Was bedeutet der Begriff „gegenständliche Kunst“ für Sie?

F.M.: Ich bekenne mich zur gegenständlichen Malerei. Denn es geht nicht um den Prozentanteil von Gegenständlichkeit auf einem Bild, sondern um die Intention des Künstlers, dass gegenständliche Elemente auch als solche wahrgenommen werden. Dass die Menschen einen Hasen, eine Tulpe, ein Baguette oder eine Taube erkennen, weil dieser Gegenstand, abgesehen von seiner farblichen oder formalen Qualität, auch eine inhaltliche, symbolische Aussage hat. Die reine Abstraktion wäre für mich nicht genug, weil ich der Meinung bin, dass sich die Möglichkeiten der abstrakten Malerei im 20. Jahrhundert erschöpft haben. Es war eine wichtige Entwicklung, aber mit den abstrakten Expressionisten und deren Nachfolgern, die mit analytischer Malerei oder mit Chemie experimentierten à la Polke, ist man zu Punkten gelangt, die in dieser zweidimensionalen Arena, in der wir uns da bewegen, nicht mehr zu toppen sind. Die formalen Entscheidungen, wie ich gegenständliche Elemente farblich und kompositorisch ins Bild setze, bauen auf alten gestaltpsychologischen Kriterien auf, wobei ich mich am ehesten an den Alten Meistern orientiere. Wenn man jahrzehntelang malt, weiß man, wie die Gesetzmäßigkeiten eines guten Bildes funktionieren. Und man kann mit diesen Gesetzmäßigkeiten weiterarbeiten, sie dehnen oder auch brechen. Ich hatte in dieser Hinsicht einen sehr guten Lehrer, Herbert Tasquil, der genau diese Gesetzmäßigkeiten von Malerei unglaublich gut analysieren konnte. Parallel dazu habe ich auch bei Bazon Brock studiert. Das war natürlich ein totaler Widerspruch: der eine konzentrierte sich nur auf Reflexion, Kommunikation und Sprache, dem andern ging es darum, uns die Gesetze von guter Kunst auf der rein formalen Ebene zu vermitteln. Für mich ist das quasi als Handgepäck oder als Repertoire verinnerlicht.

M.R.: Unter dem Überbegriff „gegenständliche Malerei“ gibt es natürlich völlig unterschiedliche Ausprägungen – welcher fühlen Sie sich am ehesten zugehörig?

F.M.: Wahrscheinlich am ehesten der Pop Art, weil mich Oberflächen immer stark interessiert haben. Natürlich spielt Narration auch eine Rolle, obwohl mir der Begriff zu beliebig erscheint. Es gibt in meinen Arbeiten eher paradoxe Momente, die zwar mit Zitaten spielen, aber die Geschichte für den Betrachter offen lassen. Man kann sehr viele eigene Geschichten in meinen Bildern sehen und sich vielleicht auch in Dingen, eben auch in Oberflächen verlieren, die gar keine Geschichten erzählen. Es kann auch immer wieder kippen zwischen Geschichte und Oberfläche, zwischen Schönheit und Banalität, zwischen Attraktivität und Brutalität. Auch politische Themen kommen vor, wenn ich zum Beispiel einen Obdachlosen in ein barockes Ambiente setze und dem ganzen den Titel „Rating Agency“ gebe. Da zitiere ich die unglaublich arrogant blickenden Göttinnen oder Engel von Fragonard, die mich an das Gehabe mancher Banker denken lassen.

M.R.: Dieses Nebeneinander von unterschiedlichen Elementen – politische Aktualität, Zitate aus der Kunstgeschichte, abstrakte Partien, mythologische Anklänge, aber auch sehr stylische Gestalten – ist dieses Nebeneinander als Ausdruck unserer Zeit zu verstehen, wo wir alles zu kennen und zu wissen glauben, über das Internet und andere Medien Zugang zu allem verfügbaren Wissen haben?

F.M.: Absolut! Vor allem der Zugang zu allen verfügbaren Bildern ist ein wichtiger Punkt. Für mich ist die Beschäftigung mit Abbildungen von Kunst immer unglaublich wichtig gewesen, und ich habe sicher die Hälfte meiner Studienzeit in der Bibliothek der Angewandten verbracht, um noch in den Vor-Internet-Zeiten dieses Wissen einzusaugen. Da hat sich über die Jahrzehnte hindurch ein riesiges Bilderarchiv in meinem Kopf entwickelt, und aus diesem Archiv schöpfe ich noch immer, weil ich Bilder unglaublich schnell zuordnen kann. Das Internet war für mich ein enormer Gewinn, weil ich Bilder von Caravaggio, Fragonard, Beuys oder wem auch immer nun per Mausklick parat habe. Ich kann damit aber umgehen, weil ich dieses Wissen im Hintergrund habe, wie ich das Ganze einordnen und produktiv machen kann. Jetzt ist dieses Wissen, das ich mir in der vor-digitalen Zeit angeeignet habe, eine irrsinnige Hilfe, um sich in diesem grenzenlosen Universum zu orientieren und damit zu arbeiten. Bei meinen Studenten merke ich, dass sie sich schwer tun Querverbindungen zu erkennen, und noch nicht wissen, wie sie mit diesen unendlichen Bildwelten produktiv umgehen sollen. Ich merke aber auch, wie viele Menschen, die sich nicht ausschließlich mit Kunst beschäftigen, mit diesen Bildwelten gar nicht wirklich etwas anfangen können. Dass es eine Orientierungslosigkeit und eine Übersättigung gibt, die zu einer Art Blindheit führt. Ich beobachte oft Menschen, wie sie durch ein Museum gehen, ohne zu wissen, wie man überhaupt sieht, und ich finde es traurig, dass das Sehen fast verlernt wurde in dieser visuellen Überfülle, die wir verfügbar haben.

M.R.: In Ihren Bildern ist die Oberfläche offenbar sehr wichtig, das legt die Frage nach der Vorgangsweise nahe: Der Hintergrund wird also geschüttet…

F.M.:…genau, das sieht vielleicht leicht aus, ist aber ziemlich kompliziert, damit man diese bestimmten Allover-Effekte hin bekommt. Ich mache also das vielfach Unvorhersehbare der Schüttungen zu meinem Ausgangspunkt und meditiere dann weiter, um zu sehen, welche Ergänzungen oder Transformationen ins Gegenständliche mich interessieren würden.
Aus dieser Mischung von Zufall und Überlegung entsteht schließlich das Bild. Die Idee für diese Arbeitsweise kommt ursprünglich aus dem Aquarell. Ich wollte die Leichtigkeit aus meinen Aquarellarbeiten auf die Leinwand übersetzen. Nachdem ich ein paar Jahre geforscht und experimentiert hatte, mit welchen Farben man Ähnliches wie im Aquarell auch auf Leinwand erreichen kann, hatte ich endlich die technischen Probleme gelöst, um so frei arbeiten zu können, wie ich es jetzt tue. Ungefähr ab 2006 habe ich zunächst meine eigenen Aquarelle zitiert, allerdings noch in klassischer Ölmalerei. Ab 2007 wurden dann einzelne Partien bereits geschüttet, aber erst seit etwa einem Jahr mache ich die Schüttungen über die ganze Fläche und arbeite erst dann wiederum klassisch in Öl hinein.

M.R.: Das fertige Bild wird gefirnisst, was heute auch nicht mehr unbedingt üblich ist – ist das auch so zu verstehen, dass das Bild damit abgeschlossen ist und in die Freiheit entlassen wird?

F.M.: Ja, der Firnis ist Schutz und Distanz zugleich. Er homogenisiert die geschütteten Partien mit den gemalten Bereichen der Bilder und ist tatsächlich auch Schutz im chemischen Sinn. Falls bei einer wilden Party – heute nennt man das Verkostung – z.B. Rotwein darüber geschüttet würde, könnte man das einfach abwischen. Und diese glänzenden Oberflächen lassen immer auch einen Eindruck von Distanz entstehen, was mir wichtig ist. In meinen Augen gehört das zur Wertschätzung von Kunst und entspricht der Art und Weise wie ich Kunst betrachte. Der Kunst, die ich liebe, begegne ich mit großem Respekt. Da habe ich oft sehr erhabene Gefühle. Ein altmodisches Wort, aber diese Erhabenheit im Erleben von Kunst ist mir sehr wichtig. Und dazu gehört für mich auch Distanz.

M.R.: In Ihren Bildern wimmelt es vor Zitaten aus der Kunstgeschichte: Ingres und Caspar David Friedrich, Brus und West etc., etc. Haben Sie je analysiert, woher Ihr Bedürfnis des Zitierens kommt? Ist das auch ein Versuch der Selbstlegitimation aus der Kunstgeschichte?

F.M.: Nein, ich fühle mich eher mit den Appropriation-Künstlern verbunden. Wenn man in den achtziger Jahren Kunst studiert hat, gab es zwei Möglichkeiten: entweder man hat Neue Wilde Malerei gemacht – was ich natürlich auch versucht habe, ich war ja mit Brandl, Zitko und Rockenschaub, der damals noch wild gemalt hat, zusammen in einer Klasse. Die andere Möglichkeit, die mich eigentlich immer mehr interessiert hat, war der intellektuellere Zugang zur Malerei. Und da gab es damals vor allem die Amerikaner, Leute wie Sherrie Levine, Cindy Sherman oder Richard Prince. Auch sie zitieren Bildwelten, die schon so etwas wie kollektives Allgemeingut geworden sind. Aber wenn man an Cindy Sherman denkt, ist das doch eine andere Art von Zitat, als man es im klassischen Sinn versteht.

M.R.: Sie selbst verwenden auch Zitate aus Alltagsmedien…

F.M.:…das sind eher Platzhalter. Frauen von hinten – bei mir sind es fast immer Frauen – sind eigentlich Caspar David Friedrich-Zitate. Die ersten Figuren von hinten waren etwa eine Frau vor einem Werk von Franz West oder Daniel Buren. Den zitiere ich überhaupt sehr gern. Es gibt eine ganze Serie von Frauen, die sich in gestreiften Kleidern Buren-Kunstwerke anschauen – was natürlich sehr nahe liegend, aber auch höchst ironisch ist. Die schauen die Kunst wie ein Naturspektakel an. Dass ich sie von hinten zeige, ist auch ein Trick, denn sobald eine Person von hinten abgebildet ist und man das Gesicht nicht sieht, projiziert der Betrachter automatisch sein eigenes Gesicht oder ihm sympathische Gesichter hinein, und das Bild bekommt eine viel größere persönliche Identifikationskraft, als wenn die Person aus dem Bild herausschaut. Das hat der Caspar David Friedrich schon sehr clever eingesetzt.

M.R.: Kunst erfahren ist eine Sache, Kunst produzieren eine andere. Welche Intention steckt hinter diesen neuen Bildern?

F.M.: Sicher zunächst der vielleicht seltsame Gedanke, dass ich Bilder machen möchte, die ich selbst noch nie gesehen habe, die mich überraschen, verwirren, die ich vielleicht auch selbst nicht so ganz verstehe. Warum ich es überhaupt so mache? Vielleicht, um nicht verrückt zu werden. Gerade bei der Ölmalerei muss man sich unglaublich konzentrieren, sehr konsequent und viele Stunden täglich dran sein. Das ist bisweilen gar nicht so ein kreativer, freier, künstlerischer, sondern ein ganz disziplinierter, straighter, fast beamtischer Zugang. Es ist zeitaufwendig und anstrengend. Das Terpentin vergiftet mich, man wird ein bisschen high davon, aber ich merke, dass ich das brauche. Da ich ja auch unterrichte und den halben Tag kommuniziere, ist das eine andere Seite, die das Dasein für mich rund macht. Aber die Hintergründe liegen sicher, wie bei vielen Künstlern, in meiner Kindheit. Meine Eltern sind beide Architekten, die mir das Zeichnen sehr gut beigebracht haben, aber sie waren auch sehr streng. Vor allem meine Mutter hat nur Bilder und Zeichnungen akzeptiert, an denen man mindestens drei Stunden gearbeitet hat. Durch Schüttungen arbeite ich vielleicht auch daran, diesen psychologischen Druck weg zu bekommen oder zumindest zu hinterfragen.

M.R.: Kunst ist immer auch ein Zeitdokument und im Kontext von Zeit und Raum, von historischen und politischen Umständen verankert. Wie weit würden Sie das auch für Ihre Kunst gelten lassen? Erzählen Ihre Bilder vom Hier und Jetzt?

F.M.: Die neuen Bilder handeln sicher nicht nur aber auch im Hier und Jetzt, insofern, als ich immer wieder Elemente einbaue, die etwa auf die momentane politische oder die aktuelle Situation der Finanzwirtschaft hinweisen. Auf einem Bild mit einem Zitat von Jean Louis Davids „Marat“ liegt davor ein junger Mann der Occupy-Bewegung in New York. Dabei wollte ich das Spannungsfeld historisch unterschiedlicher Ideen von Revolution und Freiheit in einem Bild vereinen. Ich habe auch eine Serie zum Thema Frauen in Burkas gemacht. Im Prinzip gehen alle meine Sujets weit über das Private hinaus, haben einen bestimmten öffentlichen, politischen Background. Es gibt auch, abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen, keine Selbstportraits von mir, keine intimen Bilder. Die Art, wie ich Bilder finde, kommt mir oft wie eine riesige Mischmaschine vor, wo ich aus all diesen vielen Bildwelten und dem ganzen Wissen über Malerei und Kunst seltsame Sachen zusammenklone, die ich so noch nicht erlebt habe. Der Hase zum Beispiel in dem einen Bild ist aus einem niederländischen Stillleben, aber der Titel „Erklärungsbedarf“ kommt von Joseph Beuys, wie man dem toten Hasen die Kunst erklärt. Also nach dem Firnis kommen die Titel, und es macht mir wirklich großen Spaß, auch gemeinsam mit Freunden, Titel für meine Bilder zu suchen. Das entwickelt sich manchmal zu eigenen, lustvollen „Titelerfindungs“-Partys.
Titel sind natürlich auch Finten. Ich vergleiche gerne geglückte Malerei mit geglückter Wilderei. Nicht nur im visuellen Feld muss man einiges wissen, um gute Fallen stellen zu können. Die Titel lege ich dabei als Köder. Mit den „Fallen“ selbst sollte man sie allerdings nicht verwechseln.