Was bleibt?
von Lucas Cuturi
Auslöser, die Werkserie Was bleibt? in Angriff zu nehmen, war für Franziska Maderthaner die Flut an Schreckensmeldungen über die Zerstörung diverser Kunstwerke, Artefakte und Kultstätten durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Aufgrund dieser Nachrichten stellte sich Maderthaner selbst die Frage, was wohl an Kunst übrig bliebe, wenn es dem IS tatsächlich gelingen sollte, die westliche Welt in Geiselhaft zu nehmen und infolgedessen freien Zugriff auf sämtliche Kunstinstitutionen zu erhalten? Aufgrund des Ikonoklasmus des IS, der auf dem Bilderverbot des Islam basiert, allerdings ausschließlich in Bezug auf die Darstellung Allahs und seines Propheten Mohammed, würde der IS im vorauseilenden Gehorsam vermutlich sämtliche nicht-muslimische Kunstwerke zerstören, denn der „Islamische Staat“ bezeichnete diese mit Sicherheit als dekadente Kunst des Westens, wodurch diese zu Zielen von religiös und moralisch motivierten Säuberungsaktionen würden und deshalb vom IS unbedingt zerstört oder zumindest unkenntlich gemacht werden müssten. Auf diesem Gedanken basierend, entwickelte Maderthaner nun ihrerseits eine fiktive Idee, wie wohl unsere Gesellschaft auf dieses Horrorszenario reagieren würde: Welche Überlegungen und Anstrengungen würden Museen, Sammler_innen, Denkmalschützer_innen und Kunstpfleger_innen unternehmen, um Kunstwerke in Sicherheit zu bringen, allen voran Werke von erotischem Inhalt, egal ob es sich dabei um Malerei oder Skulpturen handelte?
Irgendwann, nachdem die Kriege schließlich ausgefochten und die Verstecke schon längst vergessen sein werden, würden Überlebende dieser Konfrontationen diese Werke rein zufällig wiederentdecken – in verfallenen, vernachlässigten Häusern, an längst verlassenen Orten.
Maderthaner geht es nun einerseits um die Visualisierung dieser fiktiven Schauplätze, andererseits aber auch um eine Kontextverschiebung, indem sie diese Werke von unschätzbarem Kunst- und kulturhistorischem Wert in einem scheinbar unwürdigen Ambiente wiedergibt. Hierfür suchte die Künstlerin vorwiegend im Internet nach Abbildungen von verlassenen bzw. vernachlässigten Räumlichkeiten. Nachdem sie die Orte des Verfalls einige Zeit auf sich hatte wirken lassen, assoziierte sie diese mit Kunstwerken aus ihrem Gedächtnis, die diesen aufgrund von formalen, aber auch inhaltlichen Aspekten ähnlich waren. In einer konkreteren Planungsphase konstruierte Maderthaner nun mithilfe digitaler Bildbearbeitungsprogramme ihre utopischen Szenarien und brachte sie schließlich in einem weiteren Schritt zu Papier. Um dem Ganzen einen zusätzlichen Hauch von Flüchtigkeit zu verleihen, benutzte Maderthaner hierfür nicht Öl-, sondern Aquarellmalerei – eine Technik, welche schon zu früheren Zeiten, als es noch keine Fotografie gab, vorwiegend vom Adel und dem gehobenen Bürgertum dazu verwendet wurde, Situationen bzw. Impressionen möglichst rasch wiederzugeben.
In ihren Aquarellen reagiert die Künstlerin, wie auch in vielen ihrer Ölgemälde, auf prominente Werke der Kunstgeschichte. Hier allerdings zum überwiegenden Teil auf solche mit erotischem Inhalt, wie etwa Édouard Manets 1863 geschaffenes Werk Das Frühstück im Grünen, welches für Schlagzeilen sorgte, weil es vom Pariser Salon abgewiesen wurde. Nichtsdestotrotz diente dieses Werk später nicht nur der Bewerbung unterschiedlicher Produkte als Vorlage, sondern wurde auch von berühmten Vertreter_innen der Kunstgeschichte rezipiert und neu interpretiert, wie etwa von Pablo Picasso, der sich übrigens ebenfalls in Maderthaners „Arche“ wiederfindet. Auch das von Gustave Courbet 1866 geschaffene Gemälde L’Origine du Monde, bei dem es sich um eines der ersten prominenten Werke handelt, welche sich mit der Darstellung des weiblichen Geschlechts beschäftigten, wäre vermutlich nicht vor dem IS sicher.
Ein anderes Aquarell der Serie zeigt einen Raum mit Bretterwand, welchen Maderthaner mit dem Bildnis Ema von Gerhard Richter aus dem Jahr 1966 assoziierte und entsprechend kombinierte. Ein gelungenes Bonmot der Künstlerin, handelt es sich doch schließlich bei Richters Gemälde selbst um eine Interpretation des 1912 entstandenen Bildes Akt, eine Treppe herabsteigend von Marcel Duchamp.
Maderthaners Serie Was bleibt? ist daher nicht nur als Dokumentation berühmter Kunstwerke von erotischer Natur anzusehen, sondern gleicht auch einem Spaziergang durch die Geschichte der Kunst, indem die Künstlerin einen Bogen von der Renaissance bis zur Gegenwart spannt. Die Liste der Künstler_innen, auf die sich Maderthaner hierbei bezieht, liest sich wie das „Who’s Who“ der Kunstgeschichte. So behandelt sie in alphabetischer Reihenfolge Werke von Balthus, Bouchet, Bouguereau, Courbet, Ernst, Freud, Gauguin, Hopper, Ingres, Magritte, Manet, Matisse, Modigliani, Moore, Picasso, Rembrandt, Richter, Tizian, van Gogh und Velázquez.
Lucas Cuturi